03.09.2017 • 09:16

Gastbeitrag vom stipnetz-Mitglied Johannes Hansen

Die Europäer unter uns. © Madz Pamulaklakin
Die Europäer unter uns. © Madz Pamulaklakin

Einen Monat unter buddhistischen Nonnen und Mönchen? Für etwa fünfzig Teilnehmer des Fo Guang Shan Buddhist Monastic Retreat, darunter vier von uns Stipendiaten aus verschiedenen Förderwerken, hat sich diese seltene Möglichkeit aufgetan. Das Programm ist eine langjährige Initiative des Ordens Fo Guang Shan, der Gründerorganisation des humanistischen Buddhismus mit mehr als 300 Tempeln weltweit. Ziel des Programms ist es, interessierten jungen Menschen den Buddhismus in einem authentischen Kontext näherzubringen, sowohl akademisch als auch erlebnisorientiert. So hat es sich ergeben, dass eine unwahrscheinliche Gruppe junger Menschen mit vielfältigem Hintergrund– aber einem gemeinsamen Interesse für Buddhismus –in Fo Guang Shans Hauptsitz und Taiwans größtem Kloster in Kaohsiung zusammenkam.

Zu Beginn des Programms war es uns (zumindest den Männern) freigestellt, uns den Kopf zu rasieren. Für die Buddhisten ist es ein Zeichen des Ablegens der Persönlichkeit, für mich war es ein Versprechen an mich selbst, mit offenem Geist in die neue Erfahrung zu gehen. In den ersten zwei Wochen ging es neben einer Reihe akademischer Vorlesungen zur Geschichte und Philosophie des Buddhismus vor allem darum, uns mit den Gepflogenheiten des Klosterlebens vertraut zu machen. Zudem bekamen wir ein Gefühl dafür, wie sich die Meditation als wichtiger Bestandteil des Buddhismus in das Gesamtbild einfügt. Alles in allem war es eine Zeit der Vorbereitung auf die dritte Woche. Denn es folgten sieben Tage der Stille und Meditation – der Hauptgrund weshalb ich und viele andere an dem Programm teilnahmen. Als Kontrastprogramm nach diesem stillen Höhepunkt unserer spirituellen Reise und meditativen Konzentration fanden wir uns wieder inmitten einer bunten buddhistischen Jugendkonferenz mit Ferienlagergefühl. Die abschließende gemeinsame Rundreise durch die fabelhafte Landschaft Taiwans gab uns die Möglichkeit, unsere neu gewonnenen Erkenntnisse und Freundschaften auch außerhalb der Klostermauern zu erproben.

Während ich an dieser Stelle nicht näher auf den Buddhismus selbst eingehen möchte – denn den traue ich mich nicht in solch begrenztem Umfang zusammenzufassen – so hoffe ich doch ein paar verstreute Einblicke in das Erlebte zu werfen, vielleicht gerade genug um das Interesse nach mehr zu wecken.

Der Klosteralltag baut auf einer umfassenden Disziplin. Aufstehen mit dem Morgengong um 5:25 Uhr, die Bettdecke genau nach Vorschrift zu einem „Tofu“ falten, und wenn um 5:45 Uhr die Handglocke läutet stehen wir alle in Reih und Glied im Hinterhof. Noch bevor es Frühstück gibt, laufen wir schweigend in zwei Reihen und in rechten Winkeln abbiegend in den Garten zur Morgenmeditation, vor dem Hintergrund eines spektakulären Sonnenaufgangs. Die Mahlzeiten sind ein Highlight für sich. Man stelle sich vor einen riesigen Saal, in welchem sich dreimal täglich das gesamte Kloster versammelt, tagesabhängig bis zu 3000 Menschen. Der Ablauf ist perfekt durchorganisiert, und so muss es auch sein, denn das Ritual dauert nur maximal 30 Minuten und es darf nicht gesprochen werden. Es beginnt mit einem Gesang, währenddessen die Küchenhelfer durch die Reihen sausen und in Rekordzeit Gemüse auf den Gemüseteller, Reis und Suppe in die Reis- und die Suppenschüssel befördern. Anschließend gilt es, eine genau einstudierte Choreographie mit dem Geschirr anzustellen, die den Helfern unter anderem signalisiert ob es noch etwas mehr Suppe, Reis, Gemüse sein darf. Die Mahlzeiten diktieren die Tagesstruktur, dazwischen eng getaktet Phasen von Unterricht, Meditation, Gemeinschaftsdienst und auch etwas Freizeit bis zur Nachtruhe um 22:00 Uhr.

Einen Eindruck hinterlassen hat ebenfalls die skurrile Kombination aus Modernität und Luxus auf der einen und Entbehrung sowie archaischer Tradition des monastischen Lebens auf der anderen Seite. Das Kloster selbst mutete an wie ein Palast, mit kunstvoll gearbeiteten Statuen und prunkvollen Tempeln. Unsere Zimmer waren klimatisiert, die Lehrräume ausgestattet mit moderner Präsentationstechnik und WiFi. Gleichzeitig durften wir unsere Kleidung per Hand waschen und sie zum Trocknen fünf Stockwerke hoch auf den Dachboden tragen. Der Weckruf war ein Gong mit dem Holzbrett. Dieses Zusammentreffen von Tradition und Moderne entbehrte nicht einer gewissen Komik: Sei es der Mönch mit Smartphone, die LED-Opferkerze oder der Starbucks in der Lobby des Klostermuseums.

Wie viele andere Westler hatte ich eingangs eine sehr romantische Vorstellung vom Buddhismus als Philosophie und universelles Rezept zum Glücklichsein. So holte mich schnell die Ernüchterung ein, dass der Buddhismus nicht weniger Religion ist als das Christentum oder der Islam, denn auch hier gibt es große Elemente der Anbetung, Institutionalisierung, sowie allerlei Segnungen und Rituale. Mehr als einmal habe ich mich gefragt warum der Buddhismus diesen Kult um die Person des Buddha nötig hat, wo doch der Buddha selbst derartige Rituale und die Verehrung einer Person abgelehnt hat. Diese Erfahrung hat das Gesamterlebnis jedoch kaum getrübt, denn die Mönche und Nonnen waren immer offen für kritische Auseinandersetzung. Und solange der Glaube und die Rituale Menschen zu guten Taten verleiten, ist es wohl falsch sie zu verurteilen.

Die Meditationswoche begann mit dem Anstecken einer „Stille“-Plakette, um die übrigen Klosterinsassen von jeglicher Interaktion mit uns abzuhalten. Generell war die Woche darauf ausgelegt, ein Minimum an externer Stimulation für unsere Sinne zu bieten. Der Raum so schlicht wie möglich, damit nichts den Blick fängt. Kaum Geräusche. Selbst das Essen hatte einen eher faden Geschmack. Wir wurden angehalten, intensive körperliche Aktivität und Lektüre zu vermeiden. Selbstverständlich war die Nutzung von Unterhaltungselektronik streng tabu. Kurzum, die Woche war so langweilig wie nur irgendwie möglich. Es blieb uns also gar nichts anderes übrig, als uns völlig unabgelenkt mit uns selbst zu beschäftigen. Das Ergebnis war ein intensives Zur-Ruhe-Kommen.

In der Meditationshalle. © Madz Pamulaklakin
In der Meditationshalle. © Madz Pamulaklakin

Wer sich noch nie mit Meditation beschäftigt hat und sehr skeptisch ist, dem möchte ich das Ganze etwa so beschreiben: Wenn wir zum ersten Mal nach langer Zeit die Augen schließen und uns entspannt auf unseren Atem zu konzentrieren versuchen, so wird uns bewusst wie unkontrolliert und gewaltsam sich unser Verstand gegen die Ruhe aufbäumt. Es ist eine Art Entzugserscheinung: Wir sind süchtig nach Stimulation, ständig und von allen Seiten sind wir im Alltag einem Hagel visueller und akustischer Reize ausgesetzt, Gerüchen und Aromen, geben uns sinnlichen Genüssen hin. Die meisten von uns leben einen konstanten Tagtraum, in dem unser ruheloser Verstand wie eine Marionette den Reizen hinterhertanzt. Es ist ein Zyklus, den wir nur schwer durchbrechen: Wir erfahren einen externen Reiz, vielleicht sehen wir eine Eisdiele am Straßenrand. Ohne nachzudenken schieben wir sofort eine Wertung nach – das Eis sieht lecker aus (oder vielleicht wird uns schlecht, weil wir bei der letzten Eisdiele schon ordentlich zugelangt haben). Doch dabei bleibt es nicht, denn es folgt Verlangen. Und nicht selten geben wir diesem Impuls auch unreflektiert nach und kaufen das Eis. Durch Meditation versuchen wir die Kontrolle über unseren Verstand zurückzuerlangen. Wer sich lange genug mit seinem Geist beschäftigt, kann sich der unterbewussten Denkprozesse bewusst werden, kann lernen Reiz und Reaktion zu entkoppeln. Denn warum sollen wir uns von äußeren Einflüssen diktieren lassen, was wir denken; warum sollen wir eine Marionette unserer Sinne sein? Meditation ist die Kunst, sich seines Verstandes bewusst zu werden. Einschreiten zu können, bevor externe Reize eine Kaskade unreflektierter Reaktionen in uns auslösen. Ein Eis sehen zu können, ohne es essen zu wollen.

Wer sich nach dem Lesen dieses Artikels selbst für die Teilnahme an diesem einzigartigen Programm interessiert, findet unter folgendem Link mehr Informationen. Das Programm findet jährlich im Juli/August statt und die Bewerbung ist offen bis April.